Bürgerschaft lehnt Antrag ab

In der letzten Sitzung der Stralsunder Bürgerschaft wurde ein Antrag der Grünen abgelehnt. Der Antrag sah vor, dass die Bürgerschaft beschließt, zukünftig Aufmärsche von Neonazis und Rassist*innen an bestimmten historisch vorgeprägten Tagen generell zu unterbinden. Auslöser dafür war ein Aufmarsch der rassistischen Gruppe „Initiative Vereint für Stralsund“ unter dem Motto „Heimatliebe ist kein Verbrechen!“ am 9. November diesen Jahres.

„Dass Neonazis ausgerechnet am 80. Jahrestag der Reichsprogromnacht durch die dunklen Straßen Stralsunds ziehen, kann aus unserer Sicht nicht hingenommen werden.“ so Tom L. vom Verein zur Förderung alternativer Jugendkultur in Stralsund. „Auch in einer Demokratie müssen wir uns nicht alles gefallen lassen. Eine solche Demonstration, die dann auch noch durch die Judenstraße geht, ist eine klare Provokation und Relativierung in Richtung der Opfer und ihrer Nachfahren.“ sagt er weiter. 

9. November – Reichsprogomnacht 

Am 9.11.1938 wurden, vom nationalsozialistischen Regime organisiert und gelenkt, im gesamten Deutschen Reich Wohnungen und Geschäfte zerstört, Synagogen niedergebrannt und hunderte Jüd*innen misshandelt, gedemütigt und ermordet. Ab dem 10. November wurden mehrere tausend Jüd*innen in Konzentrationslagern inhaftiert und allen Jüd*innen wurde es untersagt Handel zu treiben.

 

Germany: The Boerneplatz synagogue in flames during Kristallnacht or the 'Night of Broken Glass', Frankfurt, November 10, 1938
Quelle: https://bilder.t-online.de/b/84/75/73/32/id_84757332/tid_da/die-brennende-boerneplatz-synagoge-aus-der-reichspogromnacht-.jpg ; 11.12.2018 um 09:51 Uhr

Dass solche Progrome auch nach Ende des nationalsozialisten Regimes nicht unmöglich sind, sollte spätestens nach den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen vom August 1992 klar sein. Dort belagerte ein rassistischer Mob eine zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber*innen und ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter*innen über mehrere Tage. Auch in diesem Jahr kam es zu progromartigen Zuständen in Deutschland. Hunderte Menschen machten im August gezielt Jagd auf Geflüchtete in Chemnitz. Es kam es zu massiven rassistisch motivierten Angriffen. 

Die Entscheidung der Stralsunder Bürgerschaft 

„Die Grünen hatten mit Unterstützung der Linken gefordert, Oberbürgermeister Alexander Badrow (CDU) aufzufordern, sich bei Landrat Stefan Kerth (SPD) dafür einzusetzen, „künftig bei Gedenktagen mit gewichtiger Symbolkraft (zum Beispiel 27. Januar und 09. November) Versammlungen und Demonstrationen rechtsradikaler Akteure durch eine Eilverfügung zu untersagen und dies gegebenenfalls bis zur zweiten Instanz des Oberverwaltungsgerichts Greifswald zu verteidigen“. Der Landkreis ist für die Genehmigungen von Versammlungen zuständig.“(1)

Die aktuelle Entscheidung der Stralsunder Bürgerschaft erzeugt aus unserer Sicht ein deutliches Signal. Ausschließlich im Sinne einer Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu handeln und somit einen Aufmarsch mit einer derartigen Symbolkraft zu genehmigen, kann nicht der richtige Umgang mit der geschichtlichen Vergangenheit und der aktuellen politischen Stimmung sein. 

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Quelle: https://pixabay.com/de/stralsunder-spitzen-rathaus-3227989/ ; 11.12.2018 um 09:43 Uhr

„Die Frage, die dahintersteht, lautet, ob es rechtlich zulässig ist, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit antisemitischer beziehungsweise fremdenfeindlicher Gruppierungen an Tagen wie dem 9. November oder dem offiziellen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar einzuschränken. Das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen hat diese Frage im Jahr 2011 mit dem Verweis auf einen ähnlichen Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes mit ja beantwortet.“ heißt es in einem Artikel der Ostsee Zeitung. (1) 

An Tagen wie dem 9. November sollte all denen Menschen gedacht werden, die durch den deutschen Faschismus ihr Leben lassen mussten und all denen, die auch nach Ende des zweiten Weltkrieges rassistisch motiviert angegriffen und ermordet worden sind. 

„Das Signal an die Opfer solcher Gewalttaten und deren Angehörige ist unfassbar. Es zeigt, dass die Meinungs- und Versammlungsfreiheit wichtiger ist, als ein tatsächliches Gedenken an Verstorbene. Wir sind nicht dafür verantwortlich was passiert ist, aber dass es nicht wieder passiert, dafür schon!“ sagt Tom L. vom Verein. 

 

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(1) Benjamin Fischer, „Bürgerschaft: Kein besonderer Schutz für Holocaust-Gedenktage“, in: http://www.ostsee-zeitung.de/Vorpommern/Stralsund/Buergerschaft-Kein-besonderer-Schutz-fuer-Holocaust-Gedenktage

[08.12.2018], zuletzt geprüft: 09.12.2018 um 11:02 Uhr.

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