Stralsund

 

Jugendkultur in Stralsund von den 90ern bis heute

Stralsund: eine Stadt, vor allem bekannt als beliebter Touristenort, geprägt durch die Nähe zur Insel Rügen, den Strelasund und eine historische Altstadt. Jedoch auch eine Stadt, die nicht durch ihre alternative Jungendkultur hervorsticht. Ganz im Gegenteil ist es sogar so, dass immer mehr junge Leute nach ihrer schulischen Ausbildung die Region verlassen, um ihr Glück anderswo zu finden. Gründe für dieses Verhalten sind schnell gefunden: Der Stralsunder Jugend mangelt es an Zukunftsperspektiven – ein Problem, welches vielerorts bekannt ist. Kein Wunder also, dass Parteien wie die NPD (letzte Landtagswahl 5,3 %) mit ihren Parolen diesen Nerv trifft und bei vielen Jugendlichen Gehör findet.

Doch auch in Stralsund gibt es junge Menschen, die Alternativen zu dieser Bewegung suchen, nur sind diese leider schwer zu finden. Zwar gibt es hier und da ein paar Jugendclubs, doch auch diese werden immer weniger und sind alles andere als alternativ. Wohin also mit einer Kultur, die größtenteils von Menschen im Schüleralter gelebt wird? Gerade zur späteren Stunde wissen viele Jugendliche nicht wohin mit sich. Für Minderjährige gibt es keinen Zufluchtsort um einfach nur mit Freunden zu chillen, Spaß zu haben oder sich kreativ, politisch und kulturell ausleben zu können, in welcher Art und Weise auch immer. Konzerte zum Beispiel finden nur selten statt. Um die dafür benötigten Veranstaltungsräume muss immer wieder von neuem geworben werden, während die Mietpreise für Raum und Technik stetig ansteigen. Andere Veranstaltungen fernab der Mainstreamkultur finden in Stralsund auch nur schwer ein Dach unter dem sie stattfinden können.

Dieser Umstand ist gerade durch den Fakt tragisch, dass Musik in der Stralsunder Jugendkultur schon immer eine große Rolle gespielt hat. Immer wieder finden sich hier Jugendliche zu Bands zusammen, die nach Orten suchen um ihre Musik der Welt vorzustellen. Jedoch werden auch Proberäume in der Hansestadt nicht nur immer teurer, ihre Zahl nimmt auch stetig ab,  weshalb es auch die Bands nicht mehr in Stralsund hält.

Es ist allerdings nicht so, dass es keine Bemühungen gegeben hat, alternativer Jugendkultur in Stralsund ein zu Hause zu geben. Mitte der 90er entstand mit dem Speicher am  Katharinenberg ein Treffpunkt für junge und junggebliebene  Stralsunder_innen. Regelmäßig fanden dort Konzerte statt, ein Anlaufpunkt war geschaffen und kreativen  Köpfen wurde Raum zur Entfaltung geboten. Doch seit mittlerweile 5 Jahren ist durch eine andere Nutzung des Speichers eben dieser Raum verloren gegangen. Jahrelang galt ebenfalls das sogenannte „Ostkreuz“ als Treffpunkt für alternative Jugendliche, ein Platz umgeben von Springbrunnen inmitten der Innenstadt. Ein Ausdruck dafür, dass Jugend sich ihren eigenen Platz sucht um sich entfalten zu können, doch eben auch dafür, dass ein fester, überdachter Ort als Punkt des Zusammenkommens von Nöten ist. Die Stadt hat ihre eigene Lösung  gefunden, mit alternativer Kultur im historischen Stadtbild umzugehen. Diese bestand nicht etwa darin, ihr einen Ort zu bieten, sondern ihn „platt zu machen“ und neu zu bebauen.

Zur gleichen Zeit oder in Folge dessen entstand  die „Skarage“. Ein Ort, an dem der Versuch angestellt wurde die alternative Jugendkultur Stralsunds am Leben zu erhalten. Doch auch dieser war nicht von langem Bestand, denn er wurde nach ca. 2 Jahren von Neonazis niedergebrannt.

Von diesem Zeitpunkt an war die alternative Jugendkultur in Stralsund sozusagen zufluchtslos.

11987447443_8ed7950648_o
Foto: Moritz Werthschulte

Nichtsdestotrotz finden sich immer wieder Jugendliche, die sich sozial und politisch engagieren. Sie organisieren zum Beispiel das jährlich stattfindende „Rock gegen Rechts“. Doch auch hier stellt sich immer wieder die Frage nach einem geeigneten Veranstaltungsort. Jedes Jahr muss sich neu auf die Suche begeben und letztendlich viele Kompromisse eingegangen werden. Zudem bietet dieses Projekt der lokalen Neonaziszene immer wieder eine Angriffsfläche, welche durch die gegebenen Lokalitäten nur schwer geschützt werden kann.

So fanden sich interessierte Jugendliche in einem Bündnis zur Förderung der lokalen Jugendkultur zusammen und nahmen das Projekt „Ein AKJZ für Stralsund“ in die Hand. Aus diesen Treffen entstand der  „Verein zur Förderung alternativer Jugendkultur in Stralsund“ (Ajuku e.V.), welcher seit dem Februar 2012 auch in das Vereinsregister eingetragen ist. Er trat im Jahr 2012 bereits als Veranstalter des „Rock gegen Rechts“ auf, welches noch immer auf die gegebenen Veranstaltungsorte zurückgreifen musste.

Zudem engagiert sich der Ajuku e.V. anderweitig politisch. So zieht er zum Beispiel mit Vorträgen zur hiesigen politischen Situation oder dem aktuellen Stand rund um das AKJZ-Stralsund durch die Städte.

Auf der Suche nach einer geeigneten Immobilie für das alternative Kultur- und Jugendzentrum fragte der Verein die städtischen Wohngenossenschaften an, welche jedoch nicht helfen konnten oder wollten. Deshalb wurde der große Leerstand der Hansestadt auf eigene Faust unter die Lupe genommen. Passende Häuser fanden sich einige, mussten jedoch auf Grund von Preisen, der Bausubstanz oder der Nähe zu Wohnhäusern wieder verworfen werden. Nach einiger Zeit haben diese Bemühungen jedoch Früchte getragen, denn in Bahnhofsnähe wurde eine Immobilie ausgemacht, die den Vorstellungen entspricht.

Der Ajuku e.V. steckte all seine Kraft in das nun gefundene Objekt. Dem Kauf stand eigentlich nichts mehr im Wege. Die Auflagen, die erfüllt werden mussten, schienen leicht umsetzbar. Doch so war es nicht. Eine dieser Auflagen besagte, dass der Verein für die Nutzung der Zufahrtsstraße die Genehmigung der direkten Anlieger_innen benötigt. Gut vorbereitet stellten sich Vertreter des Vereins diesen vor. Kurzgefasst waren die Aussagen bezeichnend. Bis auf eine Ausnahme lehnten alle Anlieger_innen das Projekt an diesem Ort ab. Im Anschluss wurde einiges versucht, jedoch musste sich Ajuku eingestehen, dass er an diesem Punkt nicht weiter kommt.

photo_2020-08-18 13.35.50

Nach dem sich die Mitglieder von Ajuku gesammelt und neu motiviert haben, ging es im Jahr 2016 mit voller Energie weiter.

Ein glücklicher Zufall brachte neue Konstellationen zusammen und es entstand die Zusammenarbeit mit der Villa Kalkbrennerei (Franzenshöhe 2, 18439 Stralsund), in der wir nun seit mehreren Jahren einen Raum gefunden haben, um unsere Ideen und Vorstellungen umzusetzen. Natürlich ist dies ein denkmalgeschütztes Objekt, was bedeutet: Baustelle. Trotz aller Schwierigkeit gibt es nun endlich eine Lokalität in Stralsund, die ohne Zwang und als Alternative zum Mainstream Platz für verschiedene Projekte, Vereine und Veranstaltungen bietet. 

Weitere Infos zum Projekt des Ajuku e.V. gibt es im Konzept.

Hilf auch DU mit, den Traum von einem alternativen Kultur- und Jugendzentrum komplett Wirklichkeit werden zu lassen und unterstütze den Verein zur Förderung alternativer Jugendkultur in Stralsund e.V.!